EM Vorschau - Gruppe B - England, Russland, Slowakei, Wales

Sonntag, 8. Mai 2016

In Gruppe B stehen sich vier Teams gegenüber, die alle eine recht offensive Spielanlage haben und keines der Teams zählt zum engsten Favoritenkreis. Die verjüngten Engländer sind ebenso schwer einzuschätzen wie die Russen, die nach dem Abgang von Defensivprediger Capello sich wieder auf ihre Offensivqualitäten konzentrieren. Doch auch die beiden EM Debütanten Slowakei und Wales mit ihren Stars Hamsik bzw. Bale sind für eine Überraschung gut.


England

Der Weltmeistertitel 1966 wirkt fast schon folkloristisch und ist schon zu lange her um jene Vormachtstellung, die der englische Fußball in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts genoss, spürbar zu machen. Heutzutage steht England für das regelmäßige Versagen im Elfmeterschießen, ebenso wie für einen fast schon verzweifelt und beinahe trotzig wirkenden Optimismus vor Großereignissen, der die englischen Fans immer wieder aufs Neue Hoffnung schöpfen lässt endlich wieder im Konzert der Großen mitspielen zu können.

Nach der vermeintlich großen Generation mit Terry, Gerrard, Lampard und Rooney steht das englische Team heute im Zeichen von nur einem echten Star – Wayne Rooney, um den sich einige hochtalentierte junge Spieler scharen. Wie gut die Mischung eigentlich ist zeigte sowohl die Qualifikation, die die Engländer als einziges Team ohne Punktverlust bewältigten, als auch das Testspiel gegen Deutschland, das nach 2:0 Rückstand noch 3:2 gewonnen werden konnte. Die Offensive funktionierte sehr gut – vor allem Welbeck, Kane und Sterling harmonieren und Überraschungsgoalgetter Vardy, der maßgeblich am Titelgewinn von Leicester City beteiligt war, befindet sich in Topform. Um als Titelanwärter genannt zu werden fehlt noch die Dichte im Kader – aber die Three Lions haben das Zeug für eine Überraschung. 


Wales

Dean Saunders, Ian Rush, Neville Southall, Mark Hughes oder Ryan Giggs - sie alle waren Stars im Weltfußball, die Teilnahme an einem großen Turnier war ihnen jedoch verwehrt, da in ihrem Land die Dichte an Klassespielern nicht hoch genug und ihr Nationalteam die Qualifikationen nie positiv abschließen konnten. Ein Schicksal, das dem aktuellen walisischen Superstar erspart bleiben wird. Gareth Bale hat sich mit Wales für die Europameisterschaft qualifiziert, womit Wales erst zum zweiten Mal an einem Endrundenturnier teilnehmen kann. Das erste Mal war 1958 bei der WM in Schweden - wo man mit 3 Unentschieden in der Gruppe mit Ungarn, Mexiko und Gastgeber Schweden als zweitplatzierter ins Viertelfinale aufgestiegen war wo man knapp gegen den späteren Weltmeister Brasilien mit 1:0 unterlag.

In der Qualifikationsgruppe B mit Zypern, Andorra, Israel, Bosnien und Belgien erreichten die Waliser 6 Siege und 3 Unentschieden bei einer Niederlage (auswärts gegen Bosnien). 11 Treffer erzielte Wales, davon 7 durch Superstar Gareth Bale. Dass man sich nicht allein auf den Starspieler verlässt zeigt die Tatsache, dass den Gegnern nur 4 Treffer gelangen. Wales hat einen Stamm an sehr erfahrenen Spielern, die alle über 30 Länderspiele bestritten haben und bereits viele Jahre in der Premierleague Erfahrung sammeln konnten, dazu kommen ein paar hungrige Newcomer. Alle stellen sich in den Dienst der Mannschaft und vorne versucht man selbstverständlich Gareth Bale gut in Szene zu setzen, was in der Qualifikation auch gut gelang.
Bei der EM bekommt es Wales mit England, der Slowakei und Russland zu tun. 
Vor- und Nachteil zugleich ist im Duell mit England, dass sich die Spieler aus der Premierleague kennen und es kaum Geheimnisse geben wird.


Slowakei

Einmal durfte man die Slowaken bereits bei einer Endrunde bewundern. 2010 bei der Weltmeisterschaft in Südafrika, wo man immerhin die Vorrunde überstand.
Sieht man sich den Kader der Slowaken an so gibt es mit Marek Hamsik und Kapitän Martin Skrtel nur zwei Akteure die an Topadressen spielen. Der Anteil an Spielern aus der eigenen Liga ist hoch, doch dass diese Mischung durchaus gut funktioniert zeigt die Tatsache, dass die Slowaken lange Zeit die Qualifikationsgruppe mit Spanien, Ukraine, Weissrussland, Mazedonien und  Luxemburg anführten. Das kompakte Kollektiv steht für viel Laufarbeit und hat mit Hamsik einen echten Taktgeber der auch enorm torgefährlich ist, nicht weniger als 5 Treffer steuerte er selbst bei. 


Russland

Russland, jene Nation die 2008 für so herzerfrischenden Fußball gesorgt hatte, war in den Jahren danach nie mehr an diesen Esprit herangekommen. Schon gar nicht unter dem Defensivkonzept unter Ex-Coach Capello, der einen großen Teil der durchwachsenen Qualifikation im Traineramt gewesen war. Ausgerechnet nach der 0:1 Heimniederlage gegen Österreich, bei der über weite Strecken jeglicher Kampfgeist und Einsatzwille zu vermissen war, zog der russische Verband die Notbremse und tauschte den Coach aus. Leonid Sluzki hauchte dem Team wieder Leben ein und Russland verlor danach kein Match – vor allem das 1:0 im direkten Duell mit Schweden sicherte den 2. Platz. Inwieweit das jahrelang praktizierte Defensivkonzept mit den 2 extrem tief stehenden Linien abgestreift werden kann bleibt abzuwarten. Erste gute Ansätze hatte man bereits in der Schlussphase der Qualifikation gesehen. Und Kreativspieler wie Dzagoev oder Dzyuba, der in der Qualifikation 8 Treffer erzielte, gehören nun wieder zum Stamm. In der Defensive verfügen die Russen über einige Routine aber durchaus nicht unverwundbar und auch Keeper Akinfeev agierte nicht immer überzeugend. In wie weit die Offensive mit Denisov, Zhirkov, Dzagoev, Dzyuba oder Kokorin tatsächlich schon auf Touren gekommen ist bleibt abzuwarten. Ein großes Problem des WM-Gastgebers 2018 ist die Tatsache, dass der Großteil der Spieler in der Heimat engagiert ist und somit die internationale Erfahrung abgeht. Dies könnte ein entscheidender Faktor sein.