In Gruppe B stehen sich vier Teams gegenüber, die alle eine recht offensive Spielanlage haben und keines der Teams zählt zum engsten Favoritenkreis. Die verjüngten Engländer sind ebenso schwer einzuschätzen wie die Russen, die nach dem Abgang von Defensivprediger Capello sich wieder auf ihre Offensivqualitäten konzentrieren. Doch auch die beiden EM Debütanten Slowakei und Wales mit ihren Stars Hamsik bzw. Bale sind für eine Überraschung gut.
England
Der Weltmeistertitel 1966 wirkt fast schon folkloristisch
und ist schon zu lange her um jene Vormachtstellung, die der englische Fußball
in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts genoss, spürbar zu machen.
Heutzutage steht England für das regelmäßige Versagen im Elfmeterschießen,
ebenso wie für einen fast schon verzweifelt und beinahe trotzig wirkenden
Optimismus vor Großereignissen, der die englischen Fans immer wieder aufs Neue
Hoffnung schöpfen lässt endlich wieder im Konzert der Großen mitspielen zu
können.
Nach der vermeintlich großen Generation mit Terry, Gerrard,
Lampard und Rooney steht das englische Team heute im Zeichen von nur einem
echten Star – Wayne Rooney, um den sich einige hochtalentierte junge Spieler
scharen. Wie gut die Mischung eigentlich ist zeigte sowohl die Qualifikation,
die die Engländer als einziges Team ohne Punktverlust bewältigten, als auch das
Testspiel gegen Deutschland, das nach 2:0 Rückstand noch 3:2 gewonnen werden
konnte. Die Offensive funktionierte sehr gut – vor allem Welbeck, Kane und
Sterling harmonieren und Überraschungsgoalgetter Vardy, der maßgeblich am
Titelgewinn von Leicester City beteiligt war, befindet sich in Topform. Um als
Titelanwärter genannt zu werden fehlt noch die Dichte im Kader – aber die Three
Lions haben das Zeug für eine Überraschung.
Wales
Dean Saunders, Ian Rush, Neville Southall, Mark Hughes oder Ryan Giggs - sie alle waren Stars im Weltfußball, die Teilnahme an einem großen Turnier war ihnen jedoch verwehrt, da in ihrem Land die Dichte an Klassespielern nicht hoch genug und ihr Nationalteam die Qualifikationen nie positiv abschließen konnten. Ein Schicksal, das dem aktuellen walisischen Superstar erspart bleiben wird. Gareth Bale hat sich mit Wales für die Europameisterschaft qualifiziert, womit Wales erst zum zweiten Mal an einem Endrundenturnier teilnehmen kann. Das erste Mal war 1958 bei der WM in Schweden - wo man mit 3 Unentschieden in der Gruppe mit Ungarn, Mexiko und Gastgeber Schweden als zweitplatzierter ins Viertelfinale aufgestiegen war wo man knapp gegen den späteren Weltmeister Brasilien mit 1:0 unterlag.
In der Qualifikationsgruppe B mit Zypern, Andorra, Israel, Bosnien und Belgien erreichten die Waliser 6 Siege und 3 Unentschieden bei einer Niederlage (auswärts gegen Bosnien). 11 Treffer erzielte Wales, davon 7 durch Superstar Gareth Bale. Dass man sich nicht allein auf den Starspieler verlässt zeigt die Tatsache, dass den Gegnern nur 4 Treffer gelangen. Wales hat einen Stamm an sehr erfahrenen Spielern, die alle über 30 Länderspiele bestritten haben und bereits viele Jahre in der Premierleague Erfahrung sammeln konnten, dazu kommen ein paar hungrige Newcomer. Alle stellen sich in den Dienst der Mannschaft und vorne versucht man selbstverständlich Gareth Bale gut in Szene zu setzen, was in der Qualifikation auch gut gelang.
Bei der EM bekommt es Wales mit England, der Slowakei und Russland zu tun.
Vor- und Nachteil zugleich ist im Duell mit England, dass sich die Spieler aus der Premierleague kennen und es kaum Geheimnisse geben wird.
Slowakei
Einmal durfte man die Slowaken bereits bei einer Endrunde
bewundern. 2010 bei der Weltmeisterschaft in Südafrika, wo man immerhin die
Vorrunde überstand.
Sieht man sich den Kader der Slowaken an so gibt es mit
Marek Hamsik und Kapitän Martin Skrtel nur zwei Akteure die an Topadressen
spielen. Der Anteil an Spielern aus der eigenen Liga ist hoch, doch dass diese
Mischung durchaus gut funktioniert zeigt die Tatsache, dass die Slowaken lange
Zeit die Qualifikationsgruppe mit Spanien, Ukraine, Weissrussland, Mazedonien
und Luxemburg anführten. Das kompakte
Kollektiv steht für viel Laufarbeit und hat mit Hamsik einen echten Taktgeber
der auch enorm torgefährlich ist, nicht weniger als 5 Treffer steuerte er
selbst bei.
Russland
Russland, jene Nation die 2008 für so herzerfrischenden
Fußball gesorgt hatte, war in den Jahren danach nie mehr an diesen Esprit
herangekommen. Schon gar nicht unter dem Defensivkonzept unter Ex-Coach
Capello, der einen großen Teil der durchwachsenen Qualifikation im Traineramt
gewesen war. Ausgerechnet nach der 0:1 Heimniederlage gegen Österreich, bei der
über weite Strecken jeglicher Kampfgeist und Einsatzwille zu vermissen war, zog
der russische Verband die Notbremse und tauschte den Coach aus. Leonid Sluzki
hauchte dem Team wieder Leben ein und Russland verlor danach kein Match – vor
allem das 1:0 im direkten Duell mit Schweden sicherte den 2. Platz. Inwieweit
das jahrelang praktizierte Defensivkonzept mit den 2 extrem tief stehenden
Linien abgestreift werden kann bleibt abzuwarten. Erste gute Ansätze hatte man
bereits in der Schlussphase der Qualifikation gesehen. Und Kreativspieler wie
Dzagoev oder Dzyuba, der in der Qualifikation 8 Treffer erzielte, gehören nun
wieder zum Stamm. In der Defensive verfügen die Russen über einige Routine aber
durchaus nicht unverwundbar und auch Keeper Akinfeev agierte nicht immer
überzeugend. In wie weit die Offensive mit Denisov, Zhirkov, Dzagoev, Dzyuba
oder Kokorin tatsächlich schon auf Touren gekommen ist bleibt abzuwarten. Ein
großes Problem des WM-Gastgebers 2018 ist die Tatsache, dass der Großteil der
Spieler in der Heimat engagiert ist und somit die internationale Erfahrung
abgeht. Dies könnte ein entscheidender Faktor sein.
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